Auszug aus dem Roman: Menschen im Aufbruch (von Hans Weber
(Uhlendorf))
Vorgeschichte: [...] Hannespeter wusste, dass [die Auswanderung] in ihrem Fall, einer Familie [aus Buch bei Kastellaun] mit fünf Kindern, einen sehr hohen Geldbetrag erfordern würde. Allein für die Schiffspassage und für weitere zusätzliche Nebenkosten bei der Überfahrt, natürlich im Zwischendeck, musste man schon pro Kopf mit einem Betrag von 60 bis 70 Talern rechnen [Hannespeter war von Beruf Schweinehirt und verdiente pro Jahr insgesamt etwa 50 Taler]. So einen Betrag konnte Hannespeter alleine unmöglich aufbringen, selbst dann nicht, wenn er seinen ganzen Hausstand verkaufte, womit er eigentlich die meisten anderen Kosten abdecken wollte. Aber auch, wenn er sein ganzes Hab und Gut verkaufte, würde der Erlös immer noch nicht ausreichen, um die Unkosten abzudecken. [...] Einen kleinen Hoffnungsschimmer und Lichtblick gab es aber dennoch: Wenn Regina [Frau von Hannespeter] es übers Herz bringen würde, könnte sie vielleicht ihr schon lange fälliges Erbteil bei ihren Eltern und Geschwistern einfordern und dieses in die Sache mit einbringen. [...] Man könnte eventuell den großen Acker vor dem Wald zum Versteigern anbieten. [...] So versprach der Vater, die Feldversteigerung sobald wie möglich in die Wege zu leiten.
[...] In das zur damaligen Zeit noch etwas enge Hafenbecken von Rio, gekrönt und überragt vom steilen Felsen des Zuckerhutes, des Wahrzeichens der Stadt, einzulaufen, war für den Kapitän keine ganz ungefährliche Angelegenheit. [...] Nach dem gelungenen Manöver ging ein verständlicherweise erleichtertes Raunen durch das ganze Schiff: Endlich am Ziel nach so vielen Ängsten und Nöten in all den langen Wochen und Monaten der nicht ungefährlichen Überfahrt über den großen Atlantik. [...]
Anders als bei der Abfahrt in
Deutschland bei schlechtem, kaltem und regnerischem Wetter war es hier bei der Ankunft in
Brasilien warm und freundlich, sicher ein weiterer Grund, um noch etwas optimistischer als
bisher beim Betreten dieses großen, vorerst noch fremden Landes gestimmt zu sein.
Als alle Passagiere das Schiff
verlassen hatten, wurden die Einwanderer von einem Vertreter der brasilianischen
Einwanderungsbehörde in zwar gebrochenem, aber gut verständlichem Deutsch recht
freundlich begrüßt. Im Namen des Kaisers Dom Pedro I. und der kaiserlich-brasilianischen
Regierung rief er den ankommenden neuen Kolonisten ein herzliches Willkommen in ihrer
zukünftigen neuen Heimat zu. [...]
Nach einem Aufenthalt von nur sieben
Tagen war es dann so weit: Wieder mussten sie ein Schiff besteigen wenn auch ein
kleineres - , um weiter in südlicher Richtung der Küste entlang bis zum äußersten
Zipfel Brasiliens, dem Staate Rio Grande do Sul, weiterzufahren, um dort in der
Provinzhauptstadt Porto Alegre, dem fröhlichen Hafen, wie die Portugiesen den
1742 [...] gegründeten Hafenort genannt hatten, dem Endziel der weiten Reise zu
erreichen. [...] Von Porto Alegre waren es dann nur noch ein paar Meilen in nördlicher
Richtung landeinwärts bis zur Kolonie Sao Leopoldo, so benannt nach der Kaiserin
Leopoldine, einer gebürtigen Österreicherin. Bei Sao Leopoldo, gelegen am Rio dos Sinos
[...] in einem fast undurchdringlichen Urwaldgebiet, das von mehreren kleinen Flüssen
durchzogen wurde, handelte es sich um einen sehr fruchtbaren Landstrich. Hier sollte
deswegen, angrenzend an schon bestehendes und zum Teil kultiviertes Siedlungsgebiet vor
allem deutscher Einwanderer, neues Rodungsgebiet hinzukommen. Das war gewiss eine
große und schwere Aufgabe für die neu ankommenden Hunsrücker Kolonisten, aus
undruchdringlichem Urwald fruchtbares Acker- und Weideland zu machen. [...]
(aus: Weber, Hans (Uhlendorf):
Menschen im Aufbruch, 1. A., Simmern 1998, S. 52 ff)